Hochzeitsansprache
(zur Trauung von David und Anja, September 2002)
William Loader
Liebe Familie, liebe Freunde von David und Anja,
Liebe Anja und lieber David,
Es ist für mich eine grosse Freude, dass ich an dieser Trauung teilnehmen kann, und vor allem auch diese Andacht anbieten kann.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen
Am Anfang der Schriftlesung hörten wir folgende Worte:
Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte keine Liebe, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. 1 Kor 13:1-3
Angewandt auf die Ehe könnte man ähnlich formulieren:
Wenn ich eine schöne Wohnung mit Luxusausstattungen und allen neuen
Geräten erwerben würde, und hätte die Liebe nicht, nützte es mir nichts.
Wenn ich genau die geplante Zahl und Geschlechtsbilanz von Sprösslingen bestimmen
könnte, wenn ich die hohen Leistungs- und Ekstase-Forderungen der Erwachsenen-Magazine im
Bereich der Sexualität erfüllen könnte,
und hätte die Liebe nicht,
so würden alle meine Bemühungen ins Nichts hinauslaufen.
Wenn ich äusserst gut in der Sache Ehe informiert wäre,
den besten Rat angenommen hätte,
mich sorgfältig um die Zukunft gekümmert hätte, damit alles glatt laufen würde,
und hätte die Liebe nicht,
so würde das Ganze zusammen ins Leere fallen.
Dem entgegen hören wir den Trauspruch genau an: (Zitat)
Ihr lieben, lasst uns einander lieb haben,
denn die Liebe ist von Gott,
und wer liebt,
der ist von Gott geboren
und kennt Gott.
Wer nicht liebt,
der kennt Gott nicht,
denn Gott ist die Liebe. 1 John 4:7-8
Dass wir von Gottes Liebe sprechen, dass wir hören, dass Gott liebt, bedeutet, dass wir mit einem Grundwert zu tun haben, der zutiefst das Leben mit Gott, das Leben von Menschen miteinander, und - was unsere Feier angeht - das Leben in dem Eheverhältnis betrifft. Liebe heisst die Andersartigkeit Anderer zu respektieren und in engeren Verhältnissen, sich der anderen Person mit Ehrlichkeit und Offenheit anzunähern und mit ihr ein gemeinsames Leben zu gestalten. So können beide ihr Potential entwickeln und aus da heraus gibt es neue Möglichkeiten für das Leben, einschliesslich, aber sicher nicht ausschliesslich, Kinder. Wie Gott, so zu sagen, das Allein-Sein nicht bevorzugte and den Anspruch aufgab, selbst den ganzen Raum auszufüllen, also Platz für andere schaffte, die sich auf ihren eigenen Wegen entwickeln konnten, so bietet Liebe Raum für den Anderen, für die Anderen, in dem so die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens geschaffen und aufrechterhalten wird.
So weit im Abstrakten. Wenn ich an die Ehe und an das Eheleben denke, habe ich manchmal ganz andere Gedanken. Es gibt eine schöne alte Geschichte von einem schottischen König, Robert the Bruce. Geschlagen in einer Schlacht und ohne Hoffnung, suchte er Erholung in einer Höhle. Als er im halbdunklen Licht sass und überlegte, was ihm bevorstand, merkte er wie sich an der Mündung der Höhle eine Spinne ein Netz zu weben begann. Selten hat man heutzutage die Zeit, diese Wunderleistung im Werden zu beobachten. Jeden Tag schaute er zu, wie die Spinne, das alte geschädigte Netz des vorigen Tages neu ersetzte. Rund und rund - fein konzipiert, sorgfältig zusammen gewoben - entstand das Netz wieder. Es erwuchs in Robert the Bruce wieder die Hoffnung. Er lernte Geduld. Jetzt konnte er sein Leben wieder aufnehmen.
Wissenschaftlich betrachtet erkennen wir hier ein Merkmal der Evolution, das Anpassen an die Umgebung, die dann so etwas wie ein Programm in die Spinne einbaute. So können Spinnen ihre Leistungen hervorbringen. Das Meisterstück ist Ausläufer der Evolution. Immerhin bewundernswert!
Und was hat die Spinne mit der Ehe zu tun? Läuft auch hier ein automatisches Leistungswerk ab? Zum Teil muss man die Frage bejahen. Wenn sich zwei Leute einander in Liebe annähern, wenn sie eine gemeinsame Zukunft planen, läuft sehr viel automatisch ab. Man braucht kein Manual, keine Einleitungsanweisungen, um jedes nächsten Schrittes sicher zu sein. Doch man braucht Information und hier und dort ein bisschen Rat, aber im Grossen und Ganzen bildet das gemeinsame Ziel ein Momentum, das die Aufmerksamkeit automatisch auf Aufgaben lenkt, die zu erledigen sind. Das gilt nicht nur am Anfang einer Ehe. Es kann auch das ganze gemeinsame Leben dauern, so lange genügend gemeinsame Ziele vorhanden sind. Wenn sie fehlen, hat das Netz sein Zentrum, ihren Bezugspunkt verloren, und das Netz hält den Widrigkeiten des Wetters und sonstigen Anfechtungen nicht stand. Das gemeinsame Ziel, oder besser die gemeinsamen Ziele, ändern sich im Laufe der Zeit. Die für ein kinderloses Ehepaar, das so bleiben will, werden anders sein, als für ein Ehepaar, das eine Familie gründen möchte. Die Ziele werden sich ändern, wenn die Familie entsteht, und auch wenn die Einzelnen die Hoch- und Tiefegebiete des Lebens erfahren - im Altwerden, im Bereich der Arbeit, in Krankheit, in allen Jahreszeiten und Gegebenheiten des menschlichen Lebens. Das Netz, das in den ersten Jahren stark hält, mag für spätere Anforderungen nicht ausreichen. Wie die Spinne, braucht man Geduld, braucht man Zeit, um das Netz zu erneuern, seinen Bezugspunkt zu sichern.
Bei Spinnen fällt es besonders auf, dass sie ein beschädigtes Netz nie reparieren. Sie bauen das Ganze wieder von vorne auf. Zeitverschwendung? Das Bild könnte uns in diesem Punkt auf falsche Gleise leiten - wie etwa, zu schnell aufzugeben und sich für die Ehescheidung zu entscheiden und eine neue Ehe einzugehen. Andererseits bietet es uns den Anstoss, zu betonen, dass wenn dem Netz Schaden zukommt - und in der Ehe ist das unvermeidbar - es sei denn man ist naiv - es immer besser ist, das Ganze in Betracht zu nehmen. Das Eheverhältnis, wie andere ähnlich enge Verhältnisse, ist wie ein Netz. Es gibt keine Ereignisse die alleinstehend sind. Kein Mensch ist eine Insel. Es stimmt auch, dass kein Erlebnis, kein Geschehen, ohne einen Netz-Zusammenhang stattfindet. Der Ärger, wenn einer die Zahnpastatube nicht zugemacht hat - eine kleine Sache an sich - kann nur der Gipfel eines Eisbergs sein, der tief in dem Verhältnis lauert, und seinen Grund ganz anderswo hat.
Eine ganzheitliche Betrachtung ist immer angebracht. Man baut das Netz wieder von vorne auf und mit Geduld. Man gibt einander Zeit und Raum. Das ist schöpferisch - und gleich dem Schöpfer, selbst. Vor allem heute, wenn viele unter Druck und Stress leben - und manchmal ist das nicht zu vermeiden - muss man sich besondere Mühe geben, wenn man ein Eheverhältnis auf die Dauer erfolgreich erhalten will. Viele schaffen es nicht, nicht weil sie es nicht wünschen, sondern weil das heutige Klima für das Ehenetz nicht gerade ideal ist. Es lohnt sich, Mühe, und Zeit und Geld aufzuwenden, um nicht eine der vielen unglücklichen zu werden. Erfolg und Erfüllung in der Sache Ehe ist schon längst nicht mehr ohne besondere Bemühungen zu erwarten. Das beweisen die Statistiken. Es ist nicht von ungefähr, dass wenn jemand von Heiraten spricht, der andere sagt: du spinnst. Aber es braucht nicht so zu sein.
Auch unsere programmierte Spinne erkennt die Notwendigkeit, manchmal das Netz anders aufzuhängen. Anpassung an neue Situationen gehört zu den Fähigkeiten unseres acht-äugigen, acht-füssigen Freundes. Manchmal sind sie in dieser Hinsicht intelligenter als wir Menschen. Virginia Satir, eine Therapeutin, erzählt wie ihre Mutter den Rostbraten immer in zwei Stücke schnitt, ehe sie ihn in den Ofen stellte. Eines Tages kam der Grund heraus. Das gleiche hatte ihre Mutter auch getan. Warum? Weil die Grossmutter einen sehr kleinen Ofen hatte, musste sie das Stück Fleisch in zwei Stücke schneiden, denn nur so passte es hinein. Bei Virginia Satirs Mutter war die Situation aber ganz anders. Sie hatte einen grossen Herd mit viel Platz, sie hatte eigentlich keinen Grund, das Fleisch in zwei zu teilen. Sie tat es aber. Warum?: weil man in ihrer Familie es immer so gemacht hatte!
Wie wir uns gegenseitig verhalten - einschliesslich in der Ehe und in ähnlich engen Verhältnissen - ist schon längst in unsere Gedächtnisplatte eingespeichert, ehe wir selbst solche Verhältnisse eingehen. Wir haben, so zu sagen, in unseren eigenen Familien ein langes Practikum gemacht. Dort haben wir gelernt, beobachtet, wie man sich verhält. Manchmal konnten wir erkennen, wenn das Verhalten schief ging. Meist nahmen wir unbewusst die Wahl der Möglichkeiten in uns auf, die vor uns ausgespielt wurden, vor allem in den frühen unkritischen Jahren, als wir leicht zu beeinflussen waren.
In bestimmten Aspekten der Ehe ist es absolut notwendig, dass man das eingespeicherte Programm genau durchsieht. Zum Beispiel. Wie behandelt man Zorn, bzw. wie reagiert man, wenn man sich verletzt fühlt. Es kann sein, dass es in der Familie nie richtig erlaubt war, die Dinge offen zu besprechen. Dann lernte man also zu schweigen, nichts zu sagen, sich zu entziehen, und vielleicht das Gefühl in sich aufhäufen zu lassen, was dann manchmal dazu führte, dass man später explodierte, manchmal sogar gegenüber anderen, als denjenigen, deren Verhalten das Gefühl ursprünglich hervorbrachte. Oder man ist feige und brav und behält die negativen Gefühle in sich, was später dann negative Auswirkungen auf die eigene Gesundheit haben kann, z.B. Depression und/oder körperliche Beschwerden.
Was in der Familie vorgespielt wurde und vielleicht damals sogar das klügste war, kann in einem ganz anderen Verhältnis nicht mehr das Richtige sein. Viele aber spielen die alte Spielweise noch aus. Es lohnt sich daher, genau durchzuarbeiten, welche Modelle der Behandlung von Konflikt man ausgesetzt wurde, sie gründlich durchzuschauen and wo notwendig zu revidieren. Hänge das Netz anders auf! Wenn man sich dieser Sachen nicht bewusst ist und einfach versucht, den besten heutigen Modellen zu folgen, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass unter Druck und Stress die alten Modelle sich als die Standardeinstellungen erweisen. Dann kommt Verhalten hervor, das manchmal überraschend unpassend und oft destruktiv ist, weil die Anderen in einer Weise behandelt werden, die ihre Wirklichkeit übergeht. Die dunkle Seite kommt hervor und zeigt sich als fremd, fast wie eine andere Person. Das Ergebnis ist Entfremdung. Ich spreche hier vom Alltag für so viele Leute. Die Spinne baut ihr Netz immer von vorne auf und merkt wenn das Netz anders aufzuhängen ist.
Spinnen haben einige Gewohnheiten, die nicht so schön sind. Viele weibliche Spinnen, normalerweise wesentlich grösser als ihre Männchen, fressen ihren Partner auf. David, gib acht! Das ist glücklicherweise nicht unsere Art. Es ist jedoch interessant, dass viele Leute an ihrer Ehe sterben, meist aus eigener Wahl. Was meine ich damit? In der Bemühung geliebt zu werden, kann es für einige Leute vorkommen, dass sie sich ihren Partnern vollkommen unterordnen. Sie fühlen sich dabei sicher und geborgen, fast als ob sie in den Uterus wieder hineingekrochen sind. Das kommt genau so häufig bei Frauen wie bei Männern vor. Von aussen könnte man meinen, dass sie vollkommen eins sind, eine echte Harmonie. Aber eine Person ist kaum noch am Leben - aber es möge sein - auch glücklich so.
Umgekehrt, und dazu passend, gibt es Leute, die nur einen einzigen Weg kennen, wie man sich zu anderen verhält. Man dominiert. Man schluckt den Anderen, die Anderen. Es ist eine Art Verschwörung der beiden miteinander and gegeneinander. Diese ungleichen Verhältnisse sehen oft sehr friedlich aus und man muss gestehen, verglichen mit vielen anderen, gelingen sie. Aber die Kosten sind hoch. Solche ungleiche Verhältnisse waren in früheren Zeiten mehr oder weniger üblich und kommen auch heute sehr häufig vor, meist in einer milderen Variante als die extremen Beispiele, die ich zur Erläuterung benutzt habe, aber auch destruktiv. Von aussen gesehen könnte man meinen, dass sie die Auswirkung der patriarchalischen Gesellschaft waren, aber sie spielten sich in beiden Richtungen ab und tun es immer noch, d.h. oftmals war auch die Frau dominierend. Auch hier lohnt es sich genau anzuschauen, was auf der Platte gespeichert ist. Denn man braucht nicht daran gebunden zu sein. Man kann die Modelle ändern und neue Programme auf die Platte schreiben. Am besten versucht man mit Spinnen-gleicher Geduld ein Verhältnis aufzubauen, wo beide Raum and Zeit haben, sich zu entwickeln und wo das Verhältnis für beide lebensspendend ist.
Wir sind damit zurück bei unserem Verständnis von Gott. Gott lässt Raum und Freiheit für Entwicklung, bietet aber zugleich Partnerschaft an. Liebe liegt diesem Universum, der Schöpfung, zugrunde. Liebe liegt der guten Ehe zugrunde. Mit Liebe meinen wir nicht eine romantische Süssigkeit, sondern eine allumfassende Verhaltensweise, die genauso gut informiert ist wie sie auch an die Grenzen der Ekstase treiben kann. Wenn man Liebe kennt, kennt man Gott. Wenn man Gott kennt, den Gott, den wir in Jesus erkennen, erkennt man Liebe.
Und die Spinne? Sie schafft ein Meisterwerk, ein Meisterwerk der Geduld, ein Meisterwerk, das ganzheitlich betrachtet, erneuert oder ersetzt wird, ein Meisterwerk, das zu jeder verschiedenen Angelegenheit, den Gegebenheiten entsprechend, neu und passend aufgehängt wird. Das mit dem Auffressen können wir übergehen. Jedes Bild hat seine Nachteile. Andererseits erhellt es eine Gefahr, die sich häufig ausspielt - auch wenn mit einer andersartigen Grausamkeit.
Lieber David, liebe Anja
Ihr habt über einige Zeit ein Netz gewoben. Wir feiern heute dieses Meisterwerk. Ich stelle mir vor, dass ich Euer Netz wie im Nebel hängend sehe, glänzend mit winzigen Wassertröpfchen. Euer Zusammensein bringt uns grosse Freude. Euer künftiges Leben miteinander ruft uns zum Gebet, zur Hoffnung, zu besten Wünschen. Eure Liebe füreinander erneuert für uns das Bewusstein der Liebe die wir kennen und gekannt haben, schliesslich auch der Liebe Gottes, die uns allen umfasst und miteinander verbindet.
Ihr lieben, lasst uns einander lieb haben,
denn die Liebe ist von Gott,
und wer liebt,
der ist von Gott geboren
und kennt Gott.
Wer nicht liebt,
der kennt Gott nicht,
denn Gott ist die Liebe.